Leseprobe der ersten Geschichte

Der Hexenmeister

 

Korronia hat seine schönen Seiten. Die drei Trolle, die mit ihren Köpfen in der Decke stecken, gehören mit Sicherheit

nicht dazu, dachte Heggal, während er die Gestalten über sich betrachtete. Der Anblick war fast komisch. Machte man

sich aber bewusst, dass die Bedauernswerten tot waren, bliebe einem das Lachen im Halse stecken. Dem erfahrenen

Liwanen war sofort klar, was geschehen war. Ein Schwerkraftzauber hatte die Drei in die Luft katapultiert. Der Magier,

der hier am Werke war, war entweder besonders ungeschickt, oder sehr brutal. Anders war es nicht zu erklären, dass die

Opfer dermaßen schnell empor gerast waren, den Stein durchbrachen und mit ihren Dickschädeln darin stecken blieben.

Die Todesursache war eindeutig. Dafür war wirklich kein professioneller Ermittler nötig.

Unter den Opfern lagen einige Kisten verstreut. Nichts Ungewöhnliches. Davon lagerten in der riesigen Halle Tausende.

Diese waren jedoch aufgebrochen und offensichtlich durchwühlt worden. Der Fall war also klar. Ein oder mehrere

Täter brachen in die Lagerhalle ein, auf der Suche nach dem Inhalt dieser Kisten. Dabei wurden sie von den Trollen, die

hier als Lagerarbeiter eingestellt waren, überrascht. Einer der Einbrecher musste über starke magische Kräfte verfügen,

mit denen er sich die drei ausgewachsenen Trolle vom Hals schaffte.

Ob er den Tod der Störenfriede beabsichtigt hatte, oder sie nur außer Gefecht setzen wollte, wusste Heggal nicht.

Da die Ganoven anschließend die Kisten weiter durchsuchten, schien es diese auch nicht weiter gekümmert

zu haben. Damit war die Vorgehensweise klar. Auch wenn Heggal noch keinen blassen Schimmer davon hatte,

wer die Täter waren. Außerdem grübelte er darüber nach, auf was die Schurken eigentlich aus waren.

 

Ich habe den Lagermeister mitgebracht!“ Heggal wandte sich um. Lagen, sein junger Assistent, hastete gerade auf ihn zu.

In seiner Begleitung war ein Elf, dessen langes, silberblondes Haar zu einem Zopf geflochten war.

Du bist hier also der Lagermeister?“

Seit fünfzehn Jahren.“ Der Elf hob blasiert die Augenbrauen. „Mein Name ist Exadenus. Die korrekte Bezeichnung

meiner Position ist übrigens Administrator!“

Dann bist du ja eine richtig große Nummer, dachte Heggal spöttisch. „Die drei Toten haben hier gearbeitet,

wenn ich das richtig verstanden habe?“

In der Tat. Die drei waren hier als Lageristen angestellt. Nicht gerade intelligent, aber fleißig und zuverlässig.

Ihr Tod ist ein großer Verlust für unsere Behörde.“

Was wird hier eigentlich gelagert?“, wollte Lagen wissen. „Dies scheint kein gewöhnliches Lagerhaus zu sein.“

Exadenus räusperte sich. „Dies ist das Lager der Sonderkontrollkommission des Zolls von Korronia. Alle

Waren, die nicht den allgemeinen Vorschriften entsprechen, werden hierher gebracht und gesondert überprüft.“

Was stimmt denn nicht mit den Waren?“, forschte Heggal weiter.

Meistens sind es Formfehler“, erwiderte der Elf. „Einige Kisten sind nicht ordnungsgemäß beschriftet. Manche

erfüllen nicht die geforderten Bestimmungen für den Transport, manchmal wurde die Gebühr nicht gezahlt.

Diese bedenklichen Güter werden hier bis zur Überprüfung aufbewahrt. Wenn den Beteiligten des Handels ein Fehl-

verhalten nachzuweisen ist, kann es zu empfindlichen Geldbußen kommen, was unsere Behörde nicht gerade beliebt macht.“

Und wie erfahren die Leute, dass ihre Waren in die Mühlen der Bürokratie geraten sind?“, wollte Lagen wissen.

Der Administrator ignorierte den Seitenhieb. „Wir senden eine Nachricht an die Lieferadresse, zusammen mit

der Anschrift unseres Informationsbüros.“

Interessant …“ Heggal runzelte die Stirn. „Das wär´s erst einmal. Wenn wir noch Fragen haben, wenden wir uns direkt

an dich. Du kannst jetzt gehen.“

Exadenus schien etwas beleidigt über den rüden Umgangston, wollte sich aber, ob seiner Position, nichts anmerken

lassen und verließ hoch erhobenen Hauptes den Raum.

Was denkst du?“, fragte der alte Liwane seinen Assistenten.

Ziemlich eindeutig. Wertvolle, heiße Ware wurde in falsch deklarierten Kisten angeliefert. Den Behörden ist etwas

aufgefallen und der Empfänger bekam eine schriftliche Benachrichtigung über eine Sonderprüfung. Da ist bei denen

Panik ausgebrochen. Ihr Schmuggel drohte aufzufliegen. Sie mussten schnell reagieren, brachen in die Lagerhalle ein

und wurden von den Trollen überrascht. Das war deren Todesurteil. Die brutalen Mörder rafften ihre Waren zusammen

und verschwanden. Wahrscheinlich, ohne Spuren zu hinterlassen.“

Heggal nickte zufrieden. Solche Kombinationsgabe war bei den Liwanen gefragt.

۞

Viele wollten dem Bund von Kämpfern für die Gerechtigkeit beitreten. Die Liwanen waren nicht nur in der Metropole

Korronia, sondern auf dem ganzen Kontinent Lagrosia bekannt und berühmt. Mancher meinte, dafür müsse er

nur einige Zaubersprüche auswendig lernen. Es war etwas ganz anderes, auf das es wirklich ankam: Köpfchen! Das wurde

schon den Anwärtern klar gemacht. Wenn sie da nicht mithalten konnten, kamen sie nie über den Rang des Zweiten

Pfades hinaus. Heggal, der schon zahlreiche Abenteuer siegreich bestritten hatte, war bereits Liwane des Dritten Pfades.

Wenn Lagen so weiter machte, wäre er auch bald soweit. Trotzdem, etwas hatte der Jungliwane übersehen …

Mein junger Freund, weißt du auch, was es für heiße Ware war, die hier geschmuggelt wurde?“

Lagen sah seinen Vorgesetzten verwirrt an. „Wie soll ich das denn wissen? Die Einbrecher haben doch alles

mitgenommen.“ Er schaute sich noch einmal genauer um. „Weißt du denn, was in den Kisten war?“

Wie soll ich das denn wissen?“ Heggal lachte.

Also dann?“ Lagen runzelte eingeschnappt die Stirn. Er wusste nicht, worauf sein Vorgesetzter hinaus wollte.

Die einfachste Methode: Wir gehen hin und finden es heraus!“, kam der Hinweis.

Es dauerte nicht lange, bis eine Gruppe Tatortspezialisten erschien. Sie sicherten die wenigen Spuren und

bargen die toten Trolle. Heggal und Lagen konnten ihre Ermittlungen ausdehnen. Sie traten aus dem Gebäude und

blickten auf die großartige Stadt Korronia. Lagen wurde schlagartig bewusst, wie schwer es sein würde, in diesem

gewaltigen Gebiet eine Mörderbande zu finden. Die Hauptstadt wurde von über hundert verschiedenen Spezies bewohnt.

Nicht zu vergessen die Abgesandten anderer Städte Lagrosias. Die Weltstadt war schon seit Jahrhunderten

Versammlungsort aller Völker des magischen Kontinentes.

Jedes hatte seine eigene Lebensart und seine Kultur einfließen lassen. Korronia war eine schillernde Metropole.

Wie sollten die beiden Liwanen, so ganz ohne Anhaltspunkt, dem Diebesgut auf die Spur kommen?

Lagen blickte sich nach allen Seiten um und entdeckte ein paar Kobolde, die um ein Schloss der Menschen

herum lungerten. In einiger Entfernung trugen mehrere Trolle und Yetis Kisten in eine der düsteren

Hexenbehausungen. An einem der mächtigen, künstlichen Wasserbecken sah Lagen einen Riesen sitzen, der sich mit

einem Wesen unterhielt, das gelegentlich einen Tentakel aus dem Bassin streckte. Hoch über ihm flog ein Geschwader

Greifen zwischen den Elfentürmen hindurch. Diese ähnelten in ihrer Architektur eleganten Einhorn-Hörnern.

Ein Straßenbild also, wie es üblich war in Korronia.

Lagen schaute zu Heggal. Der schien wenig beeindruckt von der Größe und Unübersichtlichkeit ihres

Einsatzgebietes. Er marschierte entschlossen los, als wüsste er genau, wo er suchen musste.

Nun sag schon. Du hast doch einen Plan!“ Lagen wandte sich mit erwartungsvoller Mine an den Älteren.

Heggal lächelte in sich hinein. „Du hast es doch selbst gesagt. Der ursprüngliche Plan der Gangster war es, sich

die Beute mit der Post schicken zu lassen. Das ging schief, wie wir schon wissen. Damit er aber überhaupt

Aussicht auf Erfolg haben konnte, brauchten die Leute eine Adresse hier in Korronia!“

Lagen war enttäuscht. Er hatte mit einem genialen Schachzug gerechnet. Was ihm sein Vorgesetzter da bot,

hörte sich eher nach alltäglicher Routine an. „Du glaubst doch nicht, dass die noch an der Lieferadresse sitzen, die auf den

Kisten stand, und dort auf uns warten? Die haben sie nur für diesen Coup angemietet. Nachdem ihr Plan gescheitet ist,

haben sie sie schnellstens geräumt. Da werden wir nichts finden!“

Wahrscheinlich hast du Recht. Aber wenn sie selbst nicht mehr da sind, werden sie trotzdem Spuren hinterlassen haben,

die auf ihre Identität und ihre weiteren Pläne weisen.“ Lagen schien nicht wirklich überzeugt.

Es ist unsere einzige Spur“, fuhr Heggal fort, „folgen wir ihr, bevor sie kalt wird.“ Der erfahrene Liwane wirkte so

zuversichtlich, dass auch Lagen sich der Stimmung nicht entziehen konnte. „Also, auf zur Lieferadresse“, erwiderte er.

Heggal schritt schon munter voran.

۞

Die Adresse, zu der die Kistenaufschrift die beiden Liwanen führte, lag am Stadtrand. Hier gab es eine Menge Lagerhallen.

Das Gebäude, vor dem die beiden schließlich standen, konnte nur mit viel gutem Willen als Bruchbude durchgehen.

Eigentlich war es nur ein zugiger Schuppen, dessen Wände mehr durch Hoffnung, als durch Baukunst zusammen gehalten

wurden.

Heggal lächelte breit. „Das perfekte Versteck, leicht zu beziehen und leicht wieder zu räumen. Wenn ich heiße Ware

beschaffen wollte, ich würde es als Zwischenlager auswählen.“

Gut zu wissen.“ Lagen seufzte. „Unsere Freunde scheinen sich deinen Rat auch schon zu Herzen genommen haben

und sind verschwunden. Außer, wenn die Trolle von Ratten oder Gnomen umgebracht wurden, davon gibt es hier ja genug.“

Am besten gehen wir einfach mal rein. Ich gehe jede Wette ein, dass wir gleich über ein paar Hinweise stolpern werden.“

Die Tür war noch nicht einmal abgeschlossen, wozu auch? Im Inneren empfingen sie nur Dunkelheit und Spinnweben.

Trotzdem dauerte es keine zwei Sekunden, bevor Heggal seine Wette gewann. Direkt hinter dem Eingang entdeckte er den

ersten Anhaltspunkt und grinste zufrieden. „Sieh mal einer an … Und deshalb sollte man sich immer die Schuhe abputzen …“

Lagen sah sofort, was sein Kollege meinte. Offenbar hatten die Mieter den Schuppen völlig überstürzt evakuiert

und dabei jede Menge schmutziger Fußabdrücke hinterlassen.

Soll das ein wichtiger Hinweis sein? Unsere Gangster tragen schmutzige Schuhe?“

Das ist nicht das Entscheidende. Du schaust nicht richtig hin!“

Lagen wusste nicht, was Heggal meinte. Er sah genauer hin. Ein Gemisch aus Ruß, Sand und feuchten Pflanzenresten.

Jeder Fremde hätte mit den Spuren nichts anfangen können. Die beiden Liwanen jedoch wussten, wo es solchen Unrat

in Korronia zu finden gab, in den Katakomben, unter der Stadt!

Sie verstecken sich in den Katakomben!“

Kein schlechter Plan“, erwiderte Heggal. „Dort gibt es finstere Nischen und Winkel, in denen sich nie ein lebendes

Wesen blicken lässt.“

Dafür umso mehr Untote …“, gab Lagen zu bedenken.

Darum mache ich mir im Moment weniger Sorgen. Wenn unsere Freunde es nötig fanden, in den Untergrund

abzutauchen, muss es sich um mehr, als nur um einfachen Schmuggel handeln. Was auch immer es ist, es war ihnen

schon drei Morde wert. Wer weiß, wozu sie noch in der Lage sind.“

Wir müssen ihnen folgen und sie aufhalten!“ Lagen war bereit. „Auf in die Katakomben!“

Das hörte sich leicht an, war aber alles andere als das. Zwar gab es in Korronia jede Menge Zugänge ins unterirdische

Reich, sogar der in Nachbarschaft des heruntergekommenen Lagers. Die Schwierigkeit bestand darin, die Übeltäter

in dieser Unterwelt aufzuspüren. Es erstreckte sich ein Netzt aus Gängen in mehreren Etagen unter der Erde, und das

unter dem gesamten Stadtgebiet. Jemanden zu finden war fast aussichtslos. Man selbst wurde jedoch schnell gefunden,

und zwar von allerlei blutrünstigen Kreaturen. Das war für die Liwanen natürlich kein Grund aufzugeben.

Sie folgten der Spur, direkt in die Unterwelt von Korronia.

۞

Die Treppe war rutschig. Sie bestand aus in den Stein gehauenen Stufen. Heggal und Lagen betraten den schaurigen

Lebensraum, dessen Gewölbe von Kreaturen bewohnt wurden, denen das Tageslicht nur schwer erträglich war, wie Werwölfe

oder Vampire. Ihre Lebensgewohnheiten wichen von denen der Bewohner über Tage deutlich ab, trotzdem waren sie einfach

nur normale Bürger Korronias, die hier versuchten über die Runden zu kommen. Einige verdienten ihren Lebensunterhalt

mit Ladengeschäften, in denen durchaus auch tagaktive Bewohner der Metropole zu finden waren.

Es gab allerdings auch weniger betriebsame Bereiche. Nur selten verirrte sich eine ehrliche Haut dorthin. Und wenn, so

hatte sie es bald darauf zu bereuen. An diesen rechtsfreien, dunklen Orten spielte sich der wahre Horror ab.

Die Kreaturen der Nacht gingen ihren Geschäften nach, ohne gesetzliche Konsequenzen fürchten zu müssen.

Nur im Notfall traute sich ein Vertreter der Justiz hierher. Selbst die Liwanen mieden das Gebiet, wenn möglich.

 

۞

Genau mit dieser Gewohnheit wollten Heggal und Lagen nun brechen. Es war Lagen, der nur wenige Meter vom

Einstieg entfernt auf neue Spuren stieß. Eine Schleifspur. Irgendetwas Schweres musste über den Steinboden gezogen

worden sein.

Sehr gut!“, lobte Heggal seinen jungen Assistenten. „Mich würde es sehr wundern, wenn diese Spur nicht von

unseren Freunden stammt.“

Die müssen hier ja richtig schweres Gerät entlang gezogen haben. Was haben sie nur vor?“

Etwas ganz Großes“, erwiderte der alte Liwane. „Sei jetzt vorsichtig. Wir müssen schon ganz in ihrer Nähe sein.“

Zunächst waren die kahlen Gänge noch mit magischen Fackeln beleuchtet. Je tiefer sie jedoch in das unterirdische

Labyrinth eindrangen, desto spärlicher wurden diese. Als magisch begabte Liwanen, konnten Heggal und Lagen

helle, schwebende Kugeln erschaffen, die den Weg erhellten. Bisher war ihnen noch niemand auf ihrer unterirdischen

Wanderung begegnet. Lagen wollte schon vorschlagen, Verstärkung anzufordern, um mehr Leute für die Durchsuchung

der Katakomben zur Verfügung zu haben. Da hörten die beiden Ermittler Stimmen.

 

Licht aus!“, befahl der alte Liwane.

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Schon Ende Oktober erhältlich - Die Reise nach Gardaron
Die Reise nach Gardaron - Ende Oktober 2017 im Handel

Neugierig auf den Helden wider Willen?

Kona, der eigentlich lieber seine Ruhe haben will? Er wird durch widrige Umstände und durch eine Legende in ein Abenteuer gezogen, das er so nie gewollte hat.

 

Hier eine Leseprobe, bei der ihr die wichtigsten Charaktere schon einmal kennen lernen könnt:

Kona, der eigentlich die Bequemlichkeit liebt. Larina, die mutige Kämpferin an seiner Seite. Salan, der junge Zauberer, der noch am vernüftigsten erscheint und oft vermitteln muss.

Dann ist da auch noch Zerberus.

Doch von ihm später mehr.

Aus dem Kapitel - Im Tempel der Morganen

„Kona, komm mal her. Ich glaube, ich habe etwas gefunden! Es könnte dein Stein sein.“

Er ging zu dem Raum, den sein merkwürdiger, neuer Freund gerade durchsuchte und stellte schockiert fest, dass Salan untertrieb. Das, was der für den ´Stein` hielt, war ein dreißig Fuß hoher Würfel aus schwarzem Granit. Es waren magische Symbole hineingefräst, die im Dunkel leuchteten. Obwohl Kona die Schrift nicht lesen konnte, war ihm sonderbarerweise klar, dass dort die Geschichte von tausend Jahren beschrieben war. Also, wenn das nicht der Stein ist, dann gibt es ihn wirklich nicht.

„Dann haben wir ihn also gefunden!“, stellte Salan zufrieden fest. „Und was machst du jetzt damit?“

„Irgendwie soll das Artefakt denjenigen ausspuken, der in der Lage sein wird, die sieben Gegenstände des Himmels aufzuspüren.“

„Die sieben Gegenstände des Himmels?“, fragte Salan. „Davon hast du aber nichts gesagt.“ „Echt nicht?“ Dann fiel Kona ein, dass er bei Erklärungen stets bemüht war, sich kurz zu fassen. „Ist jetzt auch egal, denn ich habe sowieso keine Ahnung, wie man diesen Stein benutzt.“ Salan runzelte die Stirn, überlegte und berührte dabei den schwarzen Granit mit seinem Zauberstab. „Ich bin ja kein Experte. Aber wenn dieser Stein jemanden aus der Vergangenheit holt, der die sieben Gegenstände des Himmels aufspüren kann … Vielleicht wird der Stein, wenn man ihn mit etwas berührt, das mit den Gegenständen zu tun hat … Hast du so etwas?“

„Nein …, aber warte mal!“ Kona zog das Amulett des Kriegers hervor, das ihm Danko kurz vor seinem Tod übergeben hatte. „Du hast bereits einen Gegenstand des Himmels?“

Salan war verblüfft und ehrfürchtig zugleich.

„Das ist eine lange Geschichte“, meinte Kona. „Ich bin ja gespannt, ob du Recht hast.“ Vorsichtig hob er das Amulett zum Stein. Als es den Granit fast berührte, begann es zu leuchten. Salan nickte ermutigend und Kona drückte die flache Seite des Amuletts fest an. Nun begann auch der Stein selbst zu leuchten. Die magischen Schriftzeichen darauf glühten. So unglaublich es klingt, sie fingen an, sich zu bewegen! Die Schriftzeichen glitten umeinander, wie Blütenblätter auf dem Wasser und sammelten sich an der Stelle, an der Kona das Amulett auf den Stein presste. Zuerst sah es so aus, als würden sich die Zeichen willkürlich sammeln. Dann erkannte Kona, dass sie sich zu einer abstrakten Form zusammenlegten. Er vermutete, dass sich hier ein magisches Portal ergeben würde, doch es formten sich Arme, Beine und ein Kopf. Die feinen Züge eines Gesichtes zeigten sich. Schließlich hatte sich das perfekte Abbild eines Menschen herausgebildet, das, wegen des grellen Leuchtens, noch nicht richtig zu erkennen war. Nun löste sich das Bild vom Stein und nahm immer mehr Gestalt an. Gleichzeitig nahm das Leuchten ab, bis es sich mit einem leisen Fauchen verflüchtigte. Die Gestalt fiel auf die Knie. Das Dämmerlicht im Gewölbe war zu düster, um die Gestalt wirklich zu erkennen. Doch Kona sah schon, dass die Person zu klein und zu zierlich war, um der mächtige Krieger zu sein, den er erwartet hatte.

Vor ihm kauerte ein Mädchen!

Sie war etwa achtzehn Jahre alt und eher unscheinbar. Das Auffälligste war eine Wollmütze, die stark nach selbst gestrickt aussah. Es lugten blonde Haarsträhnen daraus hervor. Die Kleidung war einfach. Ein rosa Kapuzenpullover, eine Hose aus blauem, festem Stoff und Turnschuhe. Kona wusste, dass vor tausend Jahren viele Leute so herumliefen. Heutzutage kam es darauf an, vor Dämonenangriffen zu fliehen und sich zu schützen. Da wurde Kleidung aus Leder oder aus anderen, stabilen Materialien bevorzugt.

Das Mädchen sah Kona irritiert an. „Wer bist du. Und, wo bin ich hier?“ Kona fand, dass die Frage angemessen war. Doch das überraschende Auftauchen eines Mädchens ließ ihn verstummen. Als Kona nicht antwortete, wurde der Blick der Fremden leicht panisch. Offenbar fürchtete sie, dass Kona ihr schaden wolle. Das würde Kona jedenfalls glauben, wenn er sich plötzlich mit einem völlig Fremden in einem dunklen Raum wieder fände.

„Ich glaube, ich kann deine Frage beantworten“, ergriff Salan stattdessen das Wort. Er schien die Angelegenheit noch am gleichmütigsten zu betrachten. Das Mädchen bemerkte ihn erst jetzt. Schockiert sprang sie auf und drehte sich zu Salan um. Der blickte sie freundlich an. „Ich bin mir sicher, dass dies alles für dich sehr verwirrend ist. Aber glaube mir, ich kann deine Fragen beantworten. Zumindest das meiste, glaube ich. Erst einmal sollten wir diesen Ort verlassen, bevor uns die Morganen noch entdecken.“ So ausgeglichen Salan wirkte, so aufgewühlt fühlte sich Kona. Nachdem er den ersten Schreck überwunden hatte, breitete sich in ihm das unangenehme Gefühl aus, von Danko hereingelegt worden zu sein. Er hatte Kona vor seinem Tod schwören lassen, denjenigen zu unterstützen, den der Jahrtausendstein in diese Zeit holte. Wie viel Unterstützung brauchte ein Mädchen? Warum hatte Danko nicht gleich gesagt, dass er die Arbeit ganz allein erledigen musste? Der alte Krieger wusste natürlich, wie das hier ausgehen würde. Das war seine Rache dafür, dass Kona sich vor Aufgaben und Abenteuern möglichst gedrückt hatte!

Trotz seines aufgewühlten Zustandes, bekam Kona einiges von dem Gespräch zwischen Salan und dem Mädchen mit. Sie hieß Larina und stammte tatsächlich aus der Zeit von vor tausend Jahren. Offenbar war sie unbeschwert ihres Weges gegangen, als sie plötzlich von etwas erfasst wurde, was sie als ein ´komisches Strudeldings` beschrieb. Als Salan sie mit schnellen Worten aufklärte, wo sie war und was es mit dem Jahrtausendstein, Kona, Salan und Zerberus auf sich hatte, erlangte sie auffallend schnell ihre Fassung zurück.

„Also, nochmal zusammengefasst“, sprach Larina mit glockenheller, aber leicht aufgebrachter Stimme. „Ich bin in der Zukunft und wurde von diesem Jahrtausendstein hier hergebracht. Und ich stecke voraussichtlich in dieser Zeit fest. Du da, bist ein Zauberer und dieser schweigsame Typ ist der wiedergeborene Herr der Unterwelt, der in seinem ersten Leben von einem Gott des Bösen besiegt wurde. Der hat jetzt die Weltherrschaft an sich gerissen. Um ihn zu besiegen, braucht ihr sieben Gegenstände, die ihr nur findet, wenn ich euch helfe. Oder habe ich da etwas falsch verstanden?“

„Nein, das ist, grob zusammen gefasst, der Stand der Dinge.“

„Und wie kommt ihr darauf, dass ich euch helfen kann oder überhaupt will? Schließlich habt ihr mich einfach so in eure Zeit entführt!“

„Können wir das vielleicht klären, wenn wir hier raus sind?“, schlug Kona genervt vor. Sie waren inzwischen wieder bis in den Kerkerbereich des Morganentempels vorgedrungen. Die Gefahr wurde immer größer. „Wir sollten uns beeilen, bevor die Morganen uns entdecken!“ „Wer soll uns entdecken?“, fragte Larina verwundert.

Salan wollte es ihr gerade erklären, als sich die Frage von selbst beantwortete. Mindestens zwanzig Gestalten, in weißen Gewändern, waren vor ihnen aufgetaucht. Verdammt, die müssen gemerkt haben, dass ich die Zauberer frei gelassen habe. Jetzt durchsuchen sie die Kerker nach ihnen. Die Morganen waren über das Auftauchen der Vier zu überrascht, um sofort zu reagieren. Doch schon wurde der Anführer sich der Situation bewusst.

„Da sind sie! Schnappt sie euch!“ Sogleich rissen sich die weiß Gewandeten zusammen und stürmten in geschlossener Formation los. Kona wusste, dass sie sich in ihrer Position nur schlecht verteidigen konnten. Er rannte zurück in den Gang, aus dem sie gerade gekommen waren und suchte dort Deckung. Auch Salan, der seinen Zauberstab wie eine Kampfstange vor sich hielt, folgte ihm und Zerberus, der leise knurrte, schloss sich an. Nur Larina blieb unbeeindruckt stehen und sah den angreifenden Morganen entgegen. „Wer sind denn die Idioten?“

Oh, nein! Kona war bestürzt. Niemand hat ihr erzählt, was Morganen sind. Und wie gefährliche die sind! Er wollte schon loslaufen, um Larina auch in Deckung zu ziehen oder ihr wenigstens ein paar warnende Worte zurufen. Doch es war zu spät. Der erste Morgane hatte Larina erreicht und war im Begriff, sich auf sie zu stürzen. Was dann geschah, überraschte Kona mindestens genauso, wie die Angreifer. Larina ballte ihre Hand zur Faust und stieß sie in den Bauch ihres Angreifers. Wenn man sich das Mädchen so ansah, würde man denken, dass der Mann höchstens ärgerlich wurde. Mehr aus Schreck, denn aus Schmerz zusammenzuckte. Stattdessen wurde der bedauernswerte Mensch von den Füßen gerissen und mindestens drei Meter durch die Luft geschleudert. Dabei riss er weitere Morganen zu Boden und landete schmerzhaft an einer Wand. „So ein Weichei“, meinte Larina, mit höhnischem Blick auf die anderen Morganen, „und, wer ist der nächste?“

                                                                                    *

Wenn man sich die Vorgänge um Larina betrachtete und nichts weiter von ihr wusste, als dass sie gerade ohne Vorwarnung aus ihrem gewohnten Leben gerissen wurde, sollte man meinen, dass sie völlig durcheinander war. Besonders in der Annahme, dass sie wahrscheinlich gerade das größte Abenteuer ihres Lebens durchmachte. Doch wer Larina, mit vollem Namen Larina Kaburas, wirklich kannte, der wusste, dass dies Ereignis für sie nur eines, in einer Reihe von spektakulären Abenteuern war. Das klang unglaublich, weil es zu ihrer Zeit noch keine Dämonen oder sonstigen Geschöpfe des Bösen gab. Die größte Gefahr für den Menschen, zu ihrer Zeit, war der Mensch selbst. Ironischerweise scheint eine Gesellschaft, die keinen Gefahren von außen ausgesetzt ist, auch keine Mühe darauf zu verschwenden, für inneren Frieden zu sorgen. In Larinas Zeit gab es Raub und Diebstahl, Dealer und Hehler, Betrüger und Erpresser, Mord und Todschlag. Larina hatte zudem in einer Stadt gelebt, in der all diese Abscheulichkeiten vertreten waren, wie in kaum einer anderen. Eigentlich wäre ein Mädchen, an so einem Ort, gnadenlos zugrunde gegangen. Was ihr zugute kam, war eine Kampftechnik, die ihre Familie seit Generationen studierte. Sie bot gegenüber jedem Gegner gewisse Vorteile. Dabei kam es nicht auf Kraft an, eher auf Körperbeherrschung und Schwung in einzelnen Bewegungsabläufen. So konnte jeder, der diese Kampftechnik beherrschte, ohne großen Kraftaufwand vernichtende Angriffe ausführen. Und Larina war ein Naturtalent. Schon von Kindesbeinen an war sie eine gefürchtete Kämpferin. Jeder Straßenjunge wusste, dass es eine schlechte Idee war, sich mit ihr anzulegen. Man konnte sogar behaupten, dass es Larina war, die die Gauner terrorisierte. Ihre Fähigkeit hätte sie dazu nutzen können, die Macht über die Gangster ihrer Gegend anzustreben und es auf eine Karriere im Bereich der organisierten Kriminalität anzulegen. Doch dem war nicht so. Trotz der lasterhaften Umgebung, hatte das Mädchen immer ein starkes Rechtsempfinden besessen. Sie war bemüht den Schwachen und Hilfsbedürftigen beizustehen. Das hört sich fast wie ein Märchen an. Wenn man sich jedoch intensiver mit Larinas Lebensweg beschäftigen würde, stieße man auf einige weitere, sehr eigentümliche Episoden. Doch dazu später mehr.

Nun war es also eines Tages dazu gekommen, dass Larina ein merkwürdiges Licht wahrnahm, während sie die Straße entlang ging. Sie wurde von einem Strudel erfasst, der sie durch Zeit und Raum riss und kam in einem dunklen Raum wieder zu sich. Dort befanden sich, außer ihr, noch zwei seltsame Gestalten und ein Hund. Womit wir wieder beim Thema wären.

 

 

 

Lassen Sie sich verzaubern von dem jungen, mutigen Magier Klago. Er würde sein Leben geben für die Auserwählte des Guten, Sarieja. Doch reicht das aus, um sie vor dem Auserwählten des Bösen zu schützen? Es lauern auch noch weitere Gefahren auf der Reiseroute. Gefahren, mit denen Klago nie gerechnet hätte. Darum geht es in folgendem Kapitel:

 

Im Goldtopf

 

Auch wenn die Flussfahrt für Klago alles andere als angenehm war, überstand er diese Prüfung und erreichte, zusammen mit den anderen, das Zentrum von Kanika. Hier trafen sie auf die letzten beiden Mitglieder ihrer Gruppe. Wider Erwarten waren es keine übermächtigen Zauberer, so wie Marugan oder Semeka. Sie waren noch nicht einmal so stark wie Klago und Desago. Trotzdem waren sie sehr begabt. Ihre Befähigung lag auf einem anderen Gebiet. Tan, der erste der beiden, stammte aus der magischen Stadt ohne Namen. 

Sie trug diese nichtssagende Bezeichnung nicht etwa, weil es ihren Erbauern an Fantasie fehlte. Nein, es lag daran, dass die Stadt verflucht war. Welcher Art dieser Fluch war, und ob es sich nicht nur um ein Gerücht handelte, war nicht bekannt. Sicher war nur, dass viele der Zauberer, die diesen Ort bewohnten, die Kunst der Vorhersage beherrschten. Auch wenn diese Fähigkeit nicht immer zuverlässig war, hatte sie sich gelegentlich doch als nützlich erwiesen. Es war also eine gute Sache, dass Tan sich der Gruppe anschloss, weil er über das Talent eines Wahrsagers verfügte. 

Der andere dagegen war eine wahre Berühmtheit. Wenn auch nicht im Bereich der Magie. Sein Name war Satun. Satun der Wortreiche. 

Er war kein Kampfmagier oder Abenteurer wie die anderen in der Gruppe. Satun war ein schreibender Zauberer, ein Biograf, Philosoph und Poet. Er verdiente sein Geld damit, die Geschichten und Abenteuer anderer Zauberer niederzuschreiben. 

Wenn man bedachte, wie komplex und vielseitig diese Bevölkerungsschicht ist, dann wird offensichtlich, warum nur ein anderer Zauberer eine Schilderung ihres Alltages niederschreiben konnte. Satuns Aufgabe war also klar. Er würde die Reise der Gruppe aufschreiben und, sobald alles vorbei war, veröffentlichen. 

Das Kennenlernen zwischen den Neuankömmlingen und Klago sowie dem Rest der Gruppe wurde schnell und freundlich abgewickelt. Alle verstanden sich prächtig. Auch wenn Tan jeden so unnachgiebig und durchdringend anstarrte, als wäre er ein Geist. 

Satun hielt ständig ein Blatt Papier in der Hand, auf das er Sätze und Zitate schrieb, die ihm spontan in den Sinn kamen. Die beiden Neuen schienen an ihren Reisegefährten jedenfalls nichts auszusetzen zu haben. 

Nachdem die Notwendigkeit des Vorstellens abgeschlossen war, nahm man die weitere Planung der Operation in Angriff. Wegen der späten Stunde war ein Weiterreisen erst am nächsten Morgen möglich. Man hatte eine sichere Unterkunft für die Gruppe ausgesucht. Sie lag in einem abgeschiedenen Teil der Stadt und war bestens dafür geeignet, eine Nacht unbemerkt zu bleiben.

So machte sich die Gruppe auf zu diesem sicheren Ort. Sie gingen durch die Straßen von Kanika, die, für diese Uhrzeit, noch reichlich gefüllt waren. 

Es fiel Klago und den anderen nicht leicht, einerseits nicht aufzufallen und gleichzeitig ihren Verpflichtungen als Wächter für Sarieja nachzukommen. Sie versuchten, sie in ihre Mitte zu nehmen, während die Auserwählte selbst mit begeistertem Gesichtsausdruck das Straßenbild begutachtete. Wie sich herausstellte, war Kanika als Hafenstadt besonders reich an Kneipen, Spielhöllen und anderen wenig seriös wirkenden Betrieben. 

Dass Sarieja von diesen zwielichtigen Orten so beeindruckt war, kam Klago merkwürdig vor. Doch dann fiel ihm ein, dass sie ihr halbes Leben auf ihre Aufgabe als Auserwählte vorbereitet worden war und sich heute vielleicht zum ersten Mal in so einer Gegend befand. Es war also völlig normal, dass Sarieja neugierig war und sich vom falschen Glanz dieses Sündenpfuhls beeindrucken ließ. 

Kurze Zeit später erreichten sie ihre Unterkunft für diese Nacht. Es war ein Gasthaus, in einem der stilleren Teile der Stadt. Das Gebäude war alt, windschief und wirkte so gastfreundlich wie eine Geisterbahn. Schien aber, für die Ansprüche der Gruppe, mehr als geeignet zu sein. Marugan ging voran. Dann traten alle durch die knarrende Tür ins alte Haus.  

Der Hauptraum des Gasthauses war genau so betagt und dunkel, wie der Bau von außen wirkte. Die einzige Beleuchtung war ein Feuer im offenen Kamin, das schon stark heruntergebrannt war. Die Flammen warfen unheimliche Schatten über die im Raum verteilten Tische und Stühle. 

„An diesem Ort sind unschuldige Seelen gestorben“, verkündete Tan, der Wahrsager. „Schon bald werden wir die Konsequenzen für das von ihnen erlittene Unrecht erleben.“ 

„So, dann hatten die Ratten, die ich neulich erledigt habe, doch noch irgendwo Verwandtschaft. Und bestimmt werden sie noch weiter an die Vorräte gehen. Ich muss neue Fallen auslegen.“ Die Stimme kam aus einer dunklen Ecke im Raum, wo sich der Tresen befand. Zuerst konnten weder Klago noch die anderen erkennen, wer da sprach. Doch als sie genauer hinsahen, erkannten sie eine Gestalt, die hinter dem Tresen stand und die Gäste beobachtete. 

„Belor, mein alter Freund!“, rief Marugan, der den unheimlichen Mann kannte. „Ich freue mich, dich wiederzusehen!“ 

„Und ich freue mich, dich wiederzusehen!“, erwiderte der Mann namens Belor. „Als ich hörte, dass du und deine Leute ein Ausweichquartier brauchen, habe ich mich sofort gemeldet.“

„Eine gute Sache!“, lobte Marugan. „Und es sieht hier noch immer so gastlich aus wie in der guten alten Zeit.“ 

„Dann haben sie es in dieser Bruchbude früher wahrscheinlich ganz schön krachen lassen“, meinte Desago so leise, dass Marugan und Belor ihn nicht hören konnten. Klago aber schon. Und ganz offenbar auch Sarieja, denn sie begann zu kichern. Das hörte Belor dann doch. Und er sah sie an. 

„Und das muss die Auserwählte sein, die von dir und deinen talentierten Begleitern ins Verbotene Tal eskortiert wird. Wo sie dann ihre aufopferungsvolle Tat begehen wird.“ 

„Was?“, fragte Marugan überrascht. „Woher weißt du das?“ 

„Mein lieber Marugan“, erklärte Belor freundlich. „Auch ich besitze einen Kalender und weiß, dass sich die tausend Jahre schon bald vollendet haben. Als ich erfuhr, dass du, der mächtigste Zauberer, eine streng geheime Mission anführst, konnte ich mir vorstellen, dass es sich dabei nur um den Geleitschutz der Auserwählten des Guten handeln konnte. Wofür sonst sollte man dich in dieser Zeit einsetzen?“ 

„Ich bin beeindruckt und hoffe, dass dein Betrieb gut läuft. Damit du nicht dazu übergehen musst, dein Wissen an den Meistbietenden zu verkaufen, … so wie früher …“ 

„Keine Sorge“, winkte Belor ab. „Meine Geschäfte gehen bestens. Auch wenn es nicht mehr so leicht ist, seit … na ja, du weißt schon.“ Ein unangenehmes Schweigen breitete sich zwischen Belor und Marugan aus. Klago, der nicht wusste, worum es ging, begriff, dass beide mit einer schlimmen Erinnerung zu kämpfen hatten. 

„Genug von diesen alten Geschichten! Ihr seid sicher müde. Ich habe meine besten Zimmer für euch bereit gemacht.“ 

„Das muss in dieser Bude nicht viel heißen“, stellte Desago fest, so leise, dass ihn wieder nur Klago hören konnte. Und dieses Mal musste auch er losprusten. 

„Dann lasst uns noch die Sicherheitsfrage klären“, meinte Marugan, mit einem strengen Blick auf Klago. „Desago und Klago halten die ganze Nacht Wache. Alle anderen haben frei.“ 

„Moment mal!“, rief Desago empört. „Wieso müssen wir als einzige Wache halten?“ 

„Weil Sicherheit in dieser Bude nicht viel heißt, und wir die Kraft und Kreativität der Jugend brauchen, um unseren Schutz zu gewährleisten.“ 

Klago hätte sich die Hand vor den Kopf schlagen können. Es war allgemein bekannt, dass den magischen Ohren von Marugan nichts entging. Und nun bestrafte er sie. Desago, weil er so frech gewesen war. Und Klago, weil er über ihn gelacht hatte. „Bis morgen dann, die Herren, und eine geruhsame Nacht“, wünschte Marugan und ging die Treppe zu den Gästezimmern hinauf, während Desago ihm einen Blick hinterher warf, als wolle er ihn erwürgen und im Kaminfeuer entsorgen. 

„Klago sowie Desago, die tapferen Krieger, entsagten dem Schlaf“, rief Satun der Wortreiche und schrieb die von ihm erdachten Verse sofort auf. „Und sie trotzten der Nacht, um ihre Kameraden zu schützen und ihren Schlaf zu bewachen.“ 

„Und rammten dem wortreichen Drecksack sein Geschreibsel in die Kehle!“, keifte Desago und drohte Satun mit der Faust. 

Der ließ sich zu keinen weiteren, kreativen Ergüssen hinreißen und stieg ebenfalls die Treppe hinauf. Ihm folgten Tan, Semeka und auch Sarieja. 

„Gute Nacht, euch beiden“, sagte sie und warf ihnen ein süßes Lächeln zu, bevor sie die Treppe hinaufging. 

„Ein nettes Mädchen“, meinte Klago zu Desago und schaute Sarieja hinterher. Desago pfiff verächtlich. „Mir ist sie zu mager. Aber das ist wohl Geschmacksache.“ 

Klago zuckte mit den Schultern und setzte sich auf einen der Stühle. Genau wie Desago, der wohl nicht anders konnte und seine Füße auf dem Tisch ablegte. Die Zeit verging. Belor spülte noch einige Gläser, bis sie ihm ausgingen. Dann verließ auch er den Raum durch eine Seitentür. Nun waren Klago und Desago ganz allein. 

„Das nervt!“, fand Desago, nachdem mehr als eine Stunde vergangen war, ohne dass etwas passierte. „Wer sollte uns denn in dieser Bruchbude überfallen? Niemand würde glauben, dass wir uns in so einem Drecksloch verschanzen.“ 

„So gesehen ist das hier das perfekte Versteck“, wandte Klago ein. „Aber du hast recht. Ich glaube, Marugan will uns einfach nur eins auswischen.“ 

So verging wieder einige Zeit, ohne dass etwas geschah. Es war ungefähr drei Uhr früh. Klago wäre beinahe eingeschlafen, als ihm ein sägendes Geräusch an die Ohren drang und ihn hochfahren ließ. In Erwartung eines Angriffes, sprang er auf, nur um sich gleich wieder zu entspannen. Denn dieses Röcheln und Grunzen stammte nicht etwa von einem Feind, sondern von Desago, der eingeschlafen war und nun ausgiebig schnarchte. 

Klago nahm das zum Anlass, die sträflich vernachlässigte Aufsicht durch einen Rundgang zu erfüllen. Er erhob sich, um im oberen Stockwerk nach dem Rechten zu sehen. Als Klago die Treppe erklommen hatte, überlegte er, wie er weitergehen sollte. Dass es ein Eindringling bis hierher geschafft hatte, war eher unwahrscheinlich. Es war also nicht nötig, die ganze Etage zu inspizieren. Den Flur mit den Gästezimmern einmal auf und ab zu marschieren, um sich zu überzeugen, dass sich niemand darin befand außer denen, die darin schlafen sollten, musste genügen. Also ging Klago den Flur hinauf, verharrte vor jeder Tür, um nach den Geräuschen dahinter zu lauschen. Er konnte gleich erkennen, wer in welchem Zimmer wohnte, denn vor jeder Tür standen die Schuhe ihrer Besitzer. Aus den Zimmern von Tan und Satun drang kein Ton. Obwohl Klago damit gerechnet hatte, dass Tan selbst im Schlaf Prophezeiungen vor sich her murmelte und Satun sich die Nacht damit um die Ohren schlug, neue Verse zu dichten. Auch in Marugans Zimmer war es still. Klago überlegte, den alten Mann unter einem Vorwand zu stören, um auch ihn um seine Nachtruhe zu bringen. Doch dann beschloss er, es zu lassen und ging weiter zum Zimmer von Semeka, woraus ein gewaltiges Schnarchen drang, welches sogar das von Desago bei Weitem übertraf. Klago war leicht irritiert, entschied dann aber, dass es nichts Ungewöhnliches zu melden gab und setze seine Inspektion fort. 

Nun kam der junge Wächter zum Zimmer von Sarieja. Sie war ja der eigentliche Grund für die getroffenen Sicherheitsmaßnahmen. Darum beschloss Klago, hier besonders hingebungsvoll an der Tür zu lauschen. Vielleicht schnarcht die Kleine ja auch. Klago wusste keinen Grund, weshalb das wichtig sein könnte. Trotzdem drückte er neugierig sein Ohr an Sariejas Tür. Ein Schnarchen war nicht zu hören. Noch nicht einmal ein schweres Atmen. Offenbar hatte Sarieja einen ruhigen Schlaf. Klago überlegte, durchs Schlüsselloch zu gucken, um sicherzugehen, dass es Sarieja wirklich gut ging. Er schämte sich jedoch gleich dafür, denn das ging nun wirklich zu weit. Klago wollte sich schon abwenden, um sich wieder zu Desago nach unten zu begeben, da drang etwas an sein Ohr, was ihn alarmierte. Das Klirren von Glas. Ohne zu überlegen öffnete Klago die Türe.

Im Zimmer war es zwar dunkel, aber auch nicht viel mehr als im Flur des Hauses. Klago konnte seine Augen schnell an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnen. Er erkannte, dass das Klirren nicht von einem Eindringling stammte, der gerade dabei war, Sarieja zu verschleppen, sondern von einer Vase, die durch den Luftstrom des offenen Fensters umgeworfen worden war. Das brachte Klago jedoch keine Besänftigung, ganz im Gegenteil. Denn nun musste er feststellen, dass sich nicht nur kein Eindringling in dem Zimmer befand, auch von Sarieja war nichts zu sehen. Klagos Gedanken rotierten. War er zu spät gekommen? War die Auserwählte bereits entführt worden? Nein, dann hätte Klago selbst ein Stockwerk tiefer Kampfgeräusche hören müssen. Es war zu vermuten, dass sich Sarieja nicht ohne Gegenwehr, verschleppen und ermorden ließ. 

Wohin sie also auch immer verschwunden war, sie hatte den Raum freiwillig verlassen. Aber warum? Hatte sie es sich doch anders überlegt und wollte nicht mehr als Opfer für die Götter herhalten? Das konnte Klago gut nachvollziehen. Doch hier ging es um die Rettung der Welt. Da musste Sariejas Wunsch zu leben hinten anstehen. So grausam das auch klang. Klago musste ihr folgen. 

Sie musste durchs Fenster geklettert sein. Wäre sie durch die Vordertür entkommen, müsste sie an Klago und Desago vorbeigeschlichen sein. Klago beschloss, ihr kurzerhand zu folgen und sprang ebenfalls durchs Fenster. Es war nicht besonders tief bis zum Boden und er landete, ohne sich zu verletzen. Der junge Zauberer blickte sich um. Keine Spur von Sarieja. 

Natürlich nicht, dachte Klago. Wenn sie auf der Flucht war, würde sie wohl kaum auf ihn warten. Sarieja konnte schon sonst wo sein und würde nur durch Magie aufzuspüren sein. Glücklicherweise war Klago auf dem Gebiet nicht ganz unbemittelt. Es war kein großer Aufwand, Sariejas Spuren zu folgen, wenn man den richtigen Zauber kannte. Er würde sie ausfindig machen. 

Und wenn möglich zur Vernunft bringen. Und wenn er es nicht konnte? Was dann? Klago beschloss, die Frage, wie er mit Sarieja umgehen sollte, auf später zu verlegen. Zunächst musste er sich auf den Zauber konzentrieren, mit dem er sie finden wollte. Klago sammelte sich, und im selben Moment schon begann seine Magie zu wirken. 

Der Zauber, den er sich zunutze machen wollte, sollte die Stellen, die Sarieja beim Gehen berührt hatte, sichtbar machen. Oder einfacher ausgedrückt, er würde ihre Fußspuren zum Leuchten bringen. So, dass es nur für Klago zu sehen war, um sicher zu gehen, dass er nicht noch jemand anderen den Weg zur Auserwählten zeigte. Und wirklich, genau da, wo Klago stand, begann eine Fußspur, die zu Sariejas Schuhgröße passte und sich vom Haus aus in Richtung Stadtkern bewegte. Seltsam, fand Klago. Sarieja hatte sich extra neue Schuhe angezogen. Denn die, die sie bisher getragen hatte, standen oben vor ihrer Tür. Nun war Klago kein ausgebildeter Spurenleser. Aber er war sich ziemlich sicher, dass es sich bei den Schuhen, die Sarieja für ihre Flucht gewählt hatte, nicht gerade um solides Schuhwerk handelte. Klago wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. 

Was sollte er nun tun? Sollte er die anderen zur Hilfe holen? Nein, die Vorwürfe, die ihnen Marugan und die anderen machen würden, wenn herauskam, dass er die Auserwählte verloren hatte, die er beschützen sollte, konnte er sich schon ganz gut vorstellen. Und wer weiß, wie Sarieja reagierte, wenn gleich die ganze Truppe kam, um sie zurückzuholen. Klago würde es erst einmal alleine, und mit Verständnis und Einfühlsamkeit versuchen. Wenn das nicht half, würde er einen anderen Weg finden müssen. 

Also machte sich Klago auf den Weg in die Innenstadt. So schnell er konnte, ohne zu rennen, folgte Klago Sariejas Spuren. Zunächst war es nicht schwer, ihrer Fährte zu folgen. 

Klar und deutlich zeichnete sie sich auf dem Straßenpflaster ab. Doch als Klago in die belebteren Teile der Stadt kam, waren hier, trotz der späten, beziehungsweise frühen Stunde, noch immer so viele Menschen unterwegs, dass es Klago schwerfiel, die Spur zwischen deren Füßen zu erkennen. Schläft diese Stadt denn nie?, fragte er sich. Offenbar nicht. Trotz solcher Widrigkeiten, schaffte es Klago, Sariejas Schritten bis zur jenem Amüsierviertel zu folgen, das sie schon auf ihrem Weg zum Gasthaus durchquert hatten. An dem Sariejas großes Interesse gezeigt hatte. 

O nein, dachte Klago. Hoffentlich ist sie nicht in eine von diesen Spelunken gegangen. Doch seine Hoffnung wurde enttäuscht. Denn wie Klago kurz darauf feststellen musste, führten Sariejas Spuren zu einer Glücksspielkneipe, die so zwielichtig und verkommen aussah, dass selbst Klago Hemmungen hatte, dort hineinzugehen. 

Und das, obwohl er schon, ohne zu zögern, in Hexenwälder, Geisterburgen und Monsterhöhlen gestürmt war. Die Kleine bringt mich noch um, dachte Klago. Die Typen da drin fressen sie doch in einem Stück! Klago musste sie da rausholen, bevor noch etwas Schlimmes geschehen könnte. Also betrat der junge Wächter die Kneipe. 

 

Er ging durch die schmale Tür, über der der Name dieser Örtlichkeit stand: Goldtopf. Kein Name hätte weniger passen können. Das begriff Klago, nachdem er einen Blick in den Bau geworfen hatte. Der ganze Raum war voller Menschen, denen man nicht einmal bei Tageslicht gerne begegnet wäre. Die Luft stank nach Tabakqualm, starkem Alkohol und schlechten Gedanken. Klago erkannte nun, was der irreführende Name „Goldtopf“ bedeutete. Es war genau das, worauf die Anwesenden aus waren. Wohin man auch sah saßen Männer, die dem Glücksspiel nachgingen, in der Hoffnung, den großen Profit zu machen. 

Und den „Goldtopf“ zu gewinnen. Obwohl sie wissen sollten, dass nur die Geschicktesten dies jemals schaffen konnten. Davon schien es hier genug zu geben. Die meisten der Spielenden schienen das beruflich zu tun und konnten davon teilweise gut, größtenteils eher schlecht leben. Auch wenn diese Art Leben aus Lug, Betrug und schlechtem Gewissen bestand. Sarieja hätte sich an keinen übleren Ort verirren können. Klago musste sie schnell finden, bevor sie noch als Einsatz irgendeines Zockers endete. Doch wo sollte er sie in diesem Gewirr finden?  

Die meisten Spieler standen um einen Tisch herum, an dem eine Gruppe von Leuten Karten spielte. Genau genommen waren es nur noch zwei, die spielten. Alle anderen hatten wohl ihre Einsätze schon verloren und waren ausgeschieden. Der eine, der noch im Spiel war, war ein groß gewachsener Mann, der aussah, als würde er sogar seine eigene Mutter verzocken. 

Die andere Person war - Sarieja!